Schreiben und Rechtschreibfehler

Prof Dr. Thomas Lindauer, Leiter Zentrum Lesen

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Schreiben ist schwierig – und dies nicht nur für Schreibanfänger. Denn Schreiben meint die Fähigkeit, einen Text so zu formulieren, dass er unabhängig vom Schreiber oder von der Schreiberin verstanden wird. Dafür sind einerseits sprachliche Fähigkeiten, wie Wörter und Sätze angemessen wählen, sich eine Geschichte ausdenken, einen angemessenen Sprachstil treffen, Kenntnis von bestimmten Textsorten usw. nötig. Und irgendwann spielt dann auch die korrekte Schreibung eine Rolle, da Texte mit vielen Rechtschreibfehlern mühsam zu lesen sind.
Während auf der inhaltlichen Seite (richtigerweise!) kaum jemand von einem Kindertext erwartet, dass er die Gedanken in der Differenziertheit eines Erwachsenen darlegt, gilt dies in Bezug auf Rechtschreibung eigenartigerweise nicht: Viele Erwachsene erwarten von Schülertexten, dass sie keine Rechtschreibfehler enthalten.
Gewiss: Die Schüler und Schülerinnen sollen auch lernen, Texte fehlerfrei zu schreiben. Dies sollen sie aber im Lauf der ganzen Schulzeit erlernen und nicht bereits in der Primarschule können. Dieser aus lernpsychologischer Perspektive richtigen Haltung gegenüber Fehlern wird häufig mit folgenden Einwänden begegnet:

Falsch geschriebene Wörter, die nicht verbessert werden, prägen sich als Fehler ein.

Das stimmt zum Glück nicht. Denn würde diese Aussage stimmen, müsste auch das Gegenteil stimmen: Richtig geschriebene Wörter müssten sich auch als richtige Schreibungen einprägen. Wäre dem tatsächlich so, müssten alle ihre Texte meist fehlerfrei schreiben, da sie ja zu 99% richtig geschriebene Wörter lesen. Fehler sind vielmehr notwendige Zwischenstationen auf dem Weg zum Erfolg.

Durch dreimal wiederholtes Schreiben prägt sich das Schriftbild des Wortes ein.

Leider stimmt auch das nicht. Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass auch fünfmaliges Abschreiben keinerlei Effekte zeigt. Dies liegt wohl unter Umständen auch daran, dass man sich beim repetitiven Abschreiben gar nicht so besonders aufs Rechtschreiben konzentriert.

In Schulheften dürfen keine unkorrigierten Wörter stehen bleiben.

In jeder Tageszeitung finden sich Rechtschreibfehler, obwohl hier Korrektoren ein besonderes Augenmerk auf die Orthografie haben. Ohne Fehler kein Lernen. Auf dem Weg zur Normorthografie erproben Kinder zahllose Eigenschreibungen, ohne dass diese abweichenden Schreibungen hinderlich für den Erwerb der Norm wären – im Gegenteil.

Die Kinder lernen zuerst durch genaues Abschreiben das Schreiben und Lesen.

Zum Glück stimmt das nicht – wie langweilig wäre das Schreibenlernen: Vielmehr lernen Kinder das Schreiben und das Lesen durch Interesse und Freude an den Möglichkeiten der Schrift. Wenn sie die Erfahrung machen können, dass Schreiben eine grossartige Form des Kommunizierens ist, werden sie auch die Arbeit auf sich nehmen, gute Texte zu schreiben. Dazu gehört gewiss auch die Fähigkeit, richtig zu schreiben, aber diese steht nicht im Vordergrund: Wir schreiben, weil wir etwas zu sagen haben, und nicht, weil wir stolz darauf sind, schwierige Wörter richtig zu schreiben.

Kinder lernen durch das freie Schreiben eigener Texte Geschichten schreiben. Falschschreibungen stören dabei vorerst nicht.

Das ist die lernförderliche Haltung, die auch auf myMoment gepflegt wird. Stören wir daher den Erwerbsprozess unserer Schüler und Schülerinnen nicht durch zu frühes Eingreifen in ihre Schreibweisen.
Man muss wirklich keine Angst vor Rechtschreibfehlern haben, denn so gefährlich sind die nicht.